Die aus einem Architekturwettbewerb aus dem Jahre 1969 resultierende und 1981 fertiggestellte Blaue Post an der Ecke Gäuggelistrasse/Stadtgartenweg ist ein für Chur und den Kanton Graubünden einzigartiges Gebäude. Das prägnante Bauwerk, das als Betriebs- und Verwaltungsgebäude der PTT errichtet worden war, ist das Hauptwerk des Churer Architekten Richard Brosi (1931–2009), der zu den profiliertesten Architekten der Bündner Nachkriegsmoderne gehört.
Der Bau des Fernmeldezentrums mitten in der Churer City war ein kompliziertes Vorhaben, dessen Realisierung wegen verschiedener Einsprachen erst nach einer mehrjährigen Planungsphase gelang. Direkt an das alte Postgebäude, einen Bau von 1904 im Stil der Bundesrenaissance angebaut, setzt sich der High-Tech-Komplex gestalterisch dezidiert von seinem Nachbarn ab – ohne allerdings auf eine subtile Bezugnahme auf den Altbau zu verzichten. Die Beton-Stahl-Konstruktion zeigt die typischen Attribute ihrer Zeit: mächtige Betonstützen, die das gewaltige Haus hoch über den Boden heben, und Fassaden aus Aluminium mit blauer Einbrennlackierung. Mit seinem selbstbewusst-autonomen Auftritt vertritt der Bau geradezu prototypisch die modernistische Ideologie, Alt und Neu miteinander kontrastierend auszubilden und damit die positivistische Zeit des Fortschritts auszudrücken.
Die markante 'Gebäudemaschine', die sich inmitten der Churer City wie ein kleines Centre Pompidou ausnimmt, stellt beispielhaft und in architektonisch ausserordentlich hochstehender Weise die wirtschaftliche und kulturelle Aufbruchstimmung der 1970er-Jahre dar. In Chur gibt es wenige öffentliche Gebäude, die diesen Sachverhalt für die Stadtgeschichte so unmittelbar nachvollziehbar machen.
Im Herbst schreckte ein Projekt für einen tiefgreifenden Umbau der Blauen Post die Fachwelt auf. Das ungeschützte, zweifellos aber schützenswerte Bauwerk mit seinem unverwechselbaren Charakter sollte einem banalisierenden Facelifting unterzogen werden. So war geplant, die namengebenden blauen Metallplatten durch ein vorgehängtes Raster aus Glasfaserbeton zu ersetzen, die Fassaden also gleichsam zu ‘versteinern’ und das expressive Gebäude so zu uniformieren und zu anonymisieren. Die Feinheiten des originalen Gestaltungskonzeptes wären dabei vollends verloren gegangen: die subtile Plastizität der Fassaden, der Kontrast zwischen den in hellem Sichtbeton gehaltenen Service-Türmen mit ihren gerundeten Ecken und ihrer rauhen und massiven Erscheinung und den horizontal betonten Nutzungsbereichen mit der glatten, kantigen, dünnen und dunklen Metall-Haut.
Die 2022 geplante Frischzellenkur für die Blaue Post hat ein grosses Medienecho ausgelöst.
Das Sanierungsvorhabens 2022 rief viele Leserbriefschriebende auf den Plan. Die meisten sprachen sich für den Erhalt der Blauen Post in ihrer ursprünglichen Gestalt aus.
Der Koloss von Chur – Bündner Tagblatt, 1. September 2022
Denkmalschutz ist Klimaschutz – Bündner Tagblatt, 17. Oktober 2022
Ludmila Seifert
In der Folge appellierte der Bündner Heimatschutz zusammen mit den Fachverbänden BSA, SIA und SWB an den Churer Stadtrat, das Baugesuch zurückzuweisen und die Eigentümer auf eine denkmalpflegerisch korrekte Vorgehensweise unter grösstmöglicher Schonung der originalen Substanz zu verpflichten. Ein Aufruf gegen die Zerstörung der Blauen Post wurde innert weniger Tage von über 200 Personen unterschrieben. Nachdem der Versuch, mit der Eigentümerin ins Gespräch zu kommen, gescheitert war, gelangten wir am 7. Dezember 2022 mit einem Unterschutzstellungsantrag an die Bündner Kantonsregierung.
Um für den baukulturellen Wert der Blauen Post zu sensibilisieren und über die ökologischen und ökonomischen Vorteile einer substanzschonenden Fassadenrestaurierung zu informieren, haben wir am 17. Januar 2023 einen öffentlichen Informationsanlass organisiert. Das Veranstaltungslokal war randvoll besetzt (Bericht).
Der Churer Architekt Valentin Bearth würdigte die architektonische und städtebauliche Bedeutung des monumentalen Komplexes. Im Anschluss wurde die vorbildliche Restaurierung des Basler-Kantonalbank-Gebäudes in Basel, einem mit der Blauen Post vergleichbaren Gebäude von 1966 vorgestellt. Auch dieses Bauwerk verfügt über eine hochwertige Metallfassade. Auch hier stand am Beginn des Renovationsvorhabens der Totalersatz der vorhandenen Aluminiumpaneele zur Diskussion. Die Bauherrschaft liess sich schliesslich vom Architekten David Vaner von den kulturellen, ökologischen und ökonomischen Vorteilen einer behutsamen Ertüchtigung überzeugen. Zusammen mit der auf nachhaltige Bauweisen spezialisierten Bauingenieurin Charlotte Bofinger und dem Direktor des Schweizerischen Architekturmuseums, Andreas Ruby, stellte David Vaner das Kantonalbank-Projekt vor, das auch für die Blaue Post wegweisend sein könnte.
Die Blaue Post in Chur. Baukulturelle, ökologische und ökonomische Vorteile des Fassadenerhalts
Dienstag, 17. Januar 2023, 19.00 – 21.00 Uhr
Kulturgarage Okro, Tittwiesenstrasse 21, 7000 Chur
Im Rahmen Unterschutzstellungsantrags wurden seitens des Kantons und der Stadt Chur sage und schreibe drei architekturgeschichtliche Gutachten in Auftrag gegeben. Sie alle betonen die hohe Schutzwürdigkeit des Bauwerks und unterstützen die Forderung nach einem denkmalpflegerisch korrekten Umgang. Die Gutachten datieren vom März/April 2022. Das kritisierte Baugesuch wurde sistiert, der Kanton liess das Unterschutzstellungsgesuch vorderhand unbearbeitet. Anfang September 2024 überraschte die Bauherrschaft mit einer neuen Baueingabe. Auch dieses Projekt, das abermals ohne Beizug denkmalpflegerisch versierter Fachleute ausgearbeitet wurde, ist aus denkmalpflegerischer Sicht katastrophal. Entsprechend blieb auch die Kritik nicht aus.
Der Bündner Heimatschutz reagierte mit einer neuerlichen scharfen Stellungnahme zu Handen der Baubewilligungsbehörde. Eine vom Heimatschutz mit unterstützte Petition, die den Stadtrat auffordert, das Gebäude unter kantonalen Schutz zu stellen, wurde innert eines Monats von 708 Leuten unterzeichnet. Und zahlreiche Personen machten ihrem Ärger ob dem unverständlichen Vorgehen der Bauherrschaft und deren Architekten in Leserbriefen Luft.
Die Kontroverse um die Blaue Post zeigt einmal mehr: Das baukulturelle Erbe aus dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts wird noch immer zu wenig beachtet – und noch weniger wertgeschätzt. Die Zeitperiode ist nahezu unerforscht. Und doch befinden sich ihre Denkmäler bereits mitten in einem Transformationsprozess und drohen, sang- und klanglos zu verschwinden – oder durch unbedarfte Renovationen ihre Zeitzeugenschaft zu verlieren. Mit der Kampagne «Baukultur 1975–2000» versucht der Schweizer Heimatschutz seit geraumer Zeit, diesem Missstand entgegenzuwirken.
Der Entscheid der Bündner Regierung in Bezug auf den Unterschgutzstellungsantrag ist weiterhin hängig!