Der Gutshof zur Kante wurde 1833 an Stelle eines barocken Bürgerhauses hugenottischer Einwanderer errichtet und repräsentiert eine für die Region einzigartige Agrararchitektur der Biedermeierzeit in kaum verändertem Originalzustand. Der Hof liegt direkt an der Masanserstrasse. Er umfasst ein stattliches Doppelwohnhaus, eine grosse Stallscheune, ein Waschhäuschen und einen um 1930/40 zugebauten Schweinestall. Der Gutshof ist seit 1948 im Besitz der Stadt Chur, die ihn in ihrer Grundordnung als erhaltenswertes Ensemble listet. Der ehemalige Garten, der beim Bau der Scalärastrasse 2008 unsensibel durchschnitten wurde, ist einer Grünzone zugewiesen. Das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz ISOS sieht für die Kante das höchste Schutzziel vor: Erhalten der Substanz.
Der Gutshof «zur Kante» in Chur-Masans
Bündner Monatsblatt 3/2021
Beitrag von Ludmila Seifert zur Architektur- und Kulturgeschichte des «Kanten»-Guts
Für viel Unmut sorgte das Ansinnen der Stadt Chur, das geschichtsträchtige Ensemble einer Bus- und Fahrradspur zu opfern. Um das Haus vor dem Abbruch zu retten, gelangte der Bündner Heimatschutz im März 2016 mit einer Aufsichtsbeschwerde an die Bündner Regierung. Am 7. Februar 2017 entschied der Kanton zugunsten heimatschützerischer und denkmalpflegerischer Anliegen und wies die Stadt Chur an, das Verfahren um die Verbreiterung der Masanserstrasse im Abschnitt Weisstorkelgasse – Kreisel Masans neu aufzurollen (Regierungsbeschluss). Seither wurde die Strasse in Etappen verbreitert. Nur der Abschnitt bei der Kante blieb ausgespart. Das Wohnhaus der Kante ragt nunmehr als letzter Engpass in die Fahrbahn der viel befahrenen Strasse hinein.
Laut dem im November 2015 veröffentlichten Weissbuch zur städtischen Boden- und Liegenschaftspolitik sind für den Abbruch des Hauses zur Kante insgesamt rund 240'000 Franken vorgesehen. Mit den Kosten des Rückbaus liesse sich das Gebäude soweit instand stellen, dass es vorderhand bewohnbar bliebe. Wie hoch der Investitionsbedarf tatsächlich ist, wurde nie sorgfältig abgeklärt.
Beim «Fall Kante» geht es um Grundsätzliches: In Chur verschwinden immer mehr bedeutsame baukulturelle Zeugen der Vergangenheit. Statt dem Verfassungsauftrag nachzukommen und das historische Erbe zu schützen, zeigt die Stadt viel Verständnis für Bauherren, die an Baukultur wenig interessiert sind (» mehr). Oder sie beruft sich auf vermeintliche Sachzwänge, um Abbrüche zu rechtfertigen. Mit der Zerstörung identitätsstiftender Bauwerke allerdings wird Stück für Stück die Geschichte aus dem Stadtbild eliminiert.
Das Schicksal der Kante ist weiterhin ungewiss. Offen ist auch, wie es mit dem noch unbebauten Bauland auf dem Ruggenbrecher weitergeht. Der Ruggenbrecher untersteht einer Arealplanpflicht. Das heisst, dass das Gebiet zuerst städtebaulich definiert werden muss, bevor es überbaut werden kann. Ein Arealplan wird vom Stadtrat erlassen. Er muss eine Vorprüfung durch den Kanton und eine öffentliche Mitwirkung durchlaufen und abschliessend von der Bündner Regierung genehmigt werden.
Das ISOS räumt dem Ruggenbrecher einen «hohen Stellenwert als ortsbildgliedernde Freifläche und Puffer zwischen den ältesten Gebäudegruppen von Masans und der sich ausdehnenden Neubebauung» ein. Herzstück des Ruggenbrechers ist eine über vier Hektaren umfassende Parzelle, zu der auch das alte Gut zur Kante gehört. Das weitläufige Grundstück ist im Besitz der Stadt Chur. Die restlichen freien Parzellen hat die renditeorientierte Baugesellschaft Fürhörnli aufgekauft.
2020 gab die Stadt Chur einen intern erarbeiteten Arealplan Ruggenbrecher in die Vorprüfung. Dem Vernehmen nach, ging dieser von einem Abbruch der Kante und einer Aufhebung der bestehenden Grünzone, welche die ummauerte Fläche des historischen Kanten-Gartens umfasst, aus. Zwecks Einschätzung des städtichen Arealplans ersuchte der Kanton die eidgenössischen Kommissionen für Denkmalpflege sowie Natur- und Heimatschutz um ein Gutachten – und lehnte den Arealplan schliesslich ab.
Auf eigene Faust hat der Bündner Heimatschutz 2024 eine Vision für den Ruggenbrecher erarbeitet. Sie wird in der Ausstellung «MEHR FÜR ALLE! Baukultur, Klima, Biodiversität - und der Ruggenbrecher in Chur», die vom 1. bis 15. September im LABOR am Pfisterplatz in Chur stattfinden wird, gezeigt.