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Zweitwohnungen ohne Ende
Zweitwohnungen ohne Ende

Verfassungswidrige Lockerung des Zweitwohnungsgesetzes

Mit der Annahme der Zweitwohnungsinitiative 2012 haben die Schweizer Stimmberechtigten dem wuchernden Bau von Ferienhäusern einen Riegel geschoben. Seit her gilt: «Der Anteil von Zweitwohnungen am Gesamtbestand der Wohneinheiten und der für Wohnzwecke genutzten Bruttogeschossfläche einer Gemeinde ist auf höchstens 20 Prozent beschränkt.» Dieser Verfassungsgrundsatz wird seit Jahren mit Füssen getreten.

Grosszügige Auslegung des Verfassungsgrundsatzes im Zweitwohnungsgesetz

Bereits mit dem 2016 eingeführten Zweitwohnungsgesetz (ZWG) hat der Gesetzgeber beträchtliche Abweichungen vom Verfassungsauftrag beschlossen: Beinahe alle vor dem 12. März 2012 erstellten und bewilligten Wohnungen können in Zweitwohnungen umgenutzt werden. Für diese ist zudem eine Erweiterung der Hauptnutzfläche um 30% erlaubt (Art. 11 ZWG). Weitere Ausnahmen gelten für die Hotellerie (Art. 8 Abs. 4 ZWG) sowie für ortsbildprägende Bauten ohne bisherige Wohnnutzung innerhalb der Bauzone (Art. 9). Mit diesen zahlreichen Ausnahmen kam man der Tourismus- und Bauwirtschaft in den betroffenen Bergregionen entgegen. Einerseits wollte man den Neubau von Zweitwohnungen deutlich reduzieren, zugleich aber auch den Unterhalt der vorhandenen Bausubstanz sichern und Rechtssicherheit beim Status der altrechtlichen Wohnungen gewährleisten.


Umnutzung von Erst- in Zweitwohnungen angeheizt

Die Folgen dieses extrem liberalen Gesetzes machen sich heute in den touristischen Hotspost deutlich bemerkbar: Die Umnutzung von Erst- in Zweitwohnungen wurde angeheizt. Der finanzielle Anreiz ist beträchtlich: Die Zürcher Kantonalbank hat berechnet, dass der Preisaufschlag zwischen einer Erst- und einer Zweitwohnung in derselben Gemeinde heute zwischen 19 und 26 Prozent liegt. Von den zehn Gemeinden mit dem höchsten Anstieg der Immobilienpreise sind sechs vom ZWG betroffen. Diese prekäre Situation ist nicht, wie vielfach behauptet wird, eine Folge der Zweitwohnungsinitiative, sondern eine Folge des Zweitwohnungsgesetzes.


Prekäre Situation

Für die Immobilienbesitzer mag es attraktiv sein, ihre Objekte zum höheren Preis an Auswärtige zu verkaufen. Die Gemeinden können damit auch kurzfristig ihre Einnahmen aus Grundstückgewinnsteuern erhöhen. Für die Dorfgemeinschaft und ihre langfristige Perspektive hingegen ist es bedenklich, wenn die Häuser im Ortszentrum während elf Monaten nicht genutzt werden und sich die Bevölkerung den Wohnraum in der eigenen Gemeinde nicht mehr leisten kann. Verschärft wird das Problem durch das revidierte Raumplanungsgesetz, das (richtigerweise) eine bauliche Verdichtung nach innen verlangt.


Fatale Lockerung des Zweitwohnungsgesetzes

In Kenntnis um die schädlichen Auswirkungen des äusserst liberalen ZWG stimmte das Bundesparlament Anfang März 2024 einer Revision zu, die weitere Lockerung und damit eine weitere Unterminierung von Artikel 75b BV vorsieht. Auslöser für die Revision war die  Parlamentarische Initiative «Unnötige und schädliche Beschränkungen des Zweitwohnungsgesetzes in Sachen Abbruch und Wiederaufbau von altrechtlichen Wohnungen aufheben», die der Bündner Nationalrat Martin Candinas im Juni 2020 eingereicht hatte. Tritt die Gesetzesrevision in Kraft, werden altrechtliche Wohnungen künftig ohne Nutzungsbeschränkungen vergrössert und in verschiedene Erst- und Zweitwohnungen unterteilt werden können (heute darf die Wohnfläche nur vergrössert werden, wenn keine zusätzlichen Wohnungen geschaffen werden). Diese Bedingungen gelten auch, wenn bestehende Bauten abgerissen und neu aufgebaut werden. Und es wird dies alles auch möglich sein, wenn der Wiederaufbau verschoben auf dem gleichen Grundstück erfolgt.


Kanton und Gemeinden gefordert

Der Bündner Heimatschutz hatte sich im Rahmen der Vernehmlassung negativ zur ZWG-Revision geäussert. Die Gesetzesrevision schafft starke finanzielle Anreize, um heute bewohnte Gebäude abzubrechen und mit Gewinn als Zweitwohnungen neu zu erstellen. Damit wird insbesondere in den touristischen Zentren die Preisspirale weiter angeheizt und der ortsansässigen Bevölkerung noch mehr Wohnraum entzogen. Zweitens ist eine Abbruchpolitik mit Blick auf die Treibhausgasemissionen nicht mehr zeitgemäss und drittens sind die Auswirkungen auf das gebaute Erbe und die Ortsbilder absehbar stark negativ.

Der Verein Anna Florin, der im Unterengadin gegen den Druck des Zweitwohnungs-Immobilienmarkts kämpft, nennt die Liberalisierung einen «Brandbeschleuniger» für die Wohnungsnot. Er drängt auf eine rigorose Anwendung von Art. 12 ZWG, der Kanton und Gemeinden dazu verpflichtet, «bei Bedarf» Massnahmen zu ergreifen, «die nötig sind, um Missbräuche und unerwünschte Entwicklungen zu verhindern, die sich aufgrund einer unbeschränkten Nutzung altrechtlicher Wohnungen zu Zweitwohnzwecken ergeben können.»

Dass dies geschieht, ist eher unwahrscheinlich. Die Bündner Regierung hatte sich für die fatale Lockerung des ZWG eingesetzt – statt den Verfassungsauftrag zur Begrenzung des Zweitwohnungsanteils in den Gemeinden endlich zu akzeptieren und sich für innovative Formen der nachhaltigen Entwicklung in den touristischen Regionen stark zu machen.

Position

Positionspapier Zweitwohnungsgesetz
des Schweizer Heimatschutzes vom 20. November 2021