Die 1983 fertiggestellte Blaue Post an der Ecke Gäuggelistrasse/Stadtgartenweg ist ein für Chur und den Kanton Graubünden ganz einzigartiges Gebäude. Das prägnante Bauwerk, das als Betriebs- und Verwaltungsgebäude der PTT errichtet worden war, ist das Hauptwerk des Churer Architekten Richard Brosi (1931–2009), der zu den profiliertesten Architekten der Bündner Nachkriegsmoderne gehört.
Der Bau des Fernmeldezentrums mitten in der Churer City war ein kompliziertes Vorhaben, dessen Realisierung erst nach einer elfjährigen Planungsphase gelang. Direkt an das alte Postgebäude, einen Bau von 1904 im Stil der Bundesrenaissance angebaut, setzt sich der hochtechnisierte Komplex gestalterisch dezidiert von seinem Nachbarn ab. Die Beton-Stahl-Konstruktion zeigt die typischen Attribute ihrer Zeit: mächtige Betonstützen, die das gewaltige Haus hoch über den Boden heben, und Fassaden aus blau gefärbtem Blech. Mit seinem selbstbewusst-autonomen Auftritt vertritt der Bau geradezu prototypisch die modernistische Ideologie, Alt und Neu miteinander kontrastierend auszubilden und damit die positivistische Zeit des Fortschritts auszudrücken.
Die markante 'Gebäudemaschine', die sich inmitten der Churer City wie ein kleines Centre Pompidou ausnimmt, stellt beispielhaft und in architektonisch ausserordentlich hochstehender Weise die wirtschaftliche und kulturelle Aufbruchstimmung der späten 1970er-Jahre dar. In Chur gibt es wenige öffentliche Gebäude, die diesen Sachverhalt für die Stadtgeschichte so unmittelbar nachvollziehbar machen.
Im Herbst schreckte ein Projekt für einen tiefgreifenden Umbau der Blauen Post die Fachwelt auf. Das ungeschützte, zweifellos aber schützenswerte Bauwerk mit seinem unverwechselbaren Charakter sollte einem banalisierenden Facelifting unterzogen werden. So war geplant, die namengebenden blauen Metallplatten durch ein vorgehängtes Raster aus Glasfaserbeton zu ersetzen, die Fassaden also gleichsam zu ‘versteinern’ und das expressive Gebäude zu uniformieren und zu anonymisieren. Die Feinheiten des originalen Gestaltungskonzeptes wären dabei vollends verloren gegangen: der Kontrast zwischen den in hellem Sichtbeton gehaltenen Service-Türmen mit ihren gerundeten Ecken und der rauhen und massiven Erscheinung und den horizontal betonten Nutzungsbereichen mit der glatten, kantigen, dünnen und dunklen Metall-Haut.
In der Folge appellierte der Bündner Heimatschutz zusammen mit den Fachverbänden an den Churer Stadtrat, das Baugesuch zurückzuweisen und die Eigentümer auf eine denkmalpflegerisch korrekte Vorgehensweise unter grösstmöglicher Schonung der originalen Substanz zu verpflichten. Ein Aufruf gegen die Zerstörung der Blauen Post wurde innert weniger Tage von über 200 Personen unterschrieben. Nachdem der Versuch, mit der Eigentümerin ins Gespräch zu kommen, gescheitert war, gelangten die genannten Organisationen am 7. Dezember 2022 mit einem Unterschutzstellungsantrag an die Bündner Kantonsregierung.
Um für den baukulturellen Wert der Blauen Post zu sensibilisieren und über die ökologischen und ökonomischen Vorteile einer substanzschonenden Fassadenrestaurierung zu informieren, fand am 17. Januar 2023 zudem eine gut besuchte öffentliche Veranstaltung statt (Programm).
Die Blaue Post in Chur. Baukulturelle, ökologische und ökonomische Vorteile des Fassadenerhalts
Dienstag, 17. Januar 2023, 19.00 – 21.00 Uhr
Kulturgarage Okro, Tittwiesenstrasse 21, 7000 Chur
Der Churer Architekt Valentin Bearth würdigte die architektonische und städtebauliche Bedeutung des monumentalen Komplexes. Im Anschluss wurde die vorbildliche Restaurierung des Basler-Kantonalbank-Gebäudes in Basel, einem mit der Blauen Post vergleichbaren Gebäude von 1966 vorgestellt. Auch dieses Bauwerk verfügt über eine hochwertige Metallfassade. Auch hier stand am Beginn des Renovationsvorhabens der Totalersatz der vorhandenen Aluminiumpaneele zur Diskussion. Die Bauherrschaft liess sich schliesslich vom Architekten David Vaner von den kulturellen, ökologischen und ökonomischen Vorteilen einer behutsamen Ertüchtigung überzeugen. Zusammen mit der auf nachhaltige Bauweisen spezialisierten Bauingenieurin Charlotte Bofinger und dem Direktor des Schweizerischen Architekturmuseums, Andreas Ruby, stellte David Vaner das Kantonalbank-Projekt vor, das auch für die Blaue Post wegweisend sein könnte.
Das Unterschutzstellungsverfahren generierte zwar drei(!) Fachgutachten. Konkret passiert ist allerdings nichts. Die Bauherrschaft nutzte den scheinbaren Stillstand und wartete Anfang September 2024 mit einer neuen Baueingabe auf. Auch dieses Projekt lässt aus denkmalpflegerischer Warte zu wünschen übrig. Der Bündner Heimatschutz hat mit einer scharfen Stellungnahme und einem Leserbrief auf das neue Umbauprojekt reagiert. Zudem wurde am 19. September 2024 eine neue
für eine kantonale Unterschutzstellung gestartet, die innert weniger Stunden von über 200 Leuten unterzeichnet wurden. Die Petiton läuft bis zum 19.Oktober 2024. Je mehr Unterschriften zusammenkommen, desto mehr öffentlicher Druck lässt sich aufbauen!
Das Vorgehen der beauftragten Architekten ist uns unverständlich. Wir sind der Überzeugung, dass sich das markante Bauwerk mit einfachen Massnahmen unter grösstmöglicher Wahrung der originalen Substanz renovieren liesse. So könnten die bestehenden, grösstenteils unversehrten Aluplatten (rund 2500 m2 !) problemlos ausgehängt, aufgefrischt und – nach dem Ersatz der darunter liegenden Wärmedämmung durch hoch isolierende Platten – wieder montiert werden. Ebenfalls erhalten werden könnten die völlig intakten, dreifach verglasten Alu-Fenster, man bräuchte sie lediglich mit einer besser dämmenden Verglasung aufzurüsten. Die Service-Türme aus Sichtbeton enthalten nur Räume und Schächte mit geringeren Ansprüchen an die Wärmedämmung; bei den wenigen aussenexponierten Flächen liesse sich ganz einfach die bestehende Innenisolation verstärken.
Ein denkmalpflegerisch korrektes Vorgehen wäre im Übrigen auch aus Gründen des Energiesparens und der Ressourcenschonung unbedingt angezeigt.
Die Kontroverse um die Blaue Post zeigt einmal mehr: Das baukulturelle Erbe aus dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts wird bisher erst wenig beachtet – und noch weniger wertgeschätzt. Die Zeitperiode ist nahezu unerforscht. Und doch befinden sich ihre Denkmäler bereits mitten in einem Transformationsprozess und drohen, sang- und klanglos zu verschwinden. Mit der Kampagne «Baukultur 1975–2000» nimmt der Schweizer Heimatschutz einen Anlauf, diesem Missstand entgegenzuwirken.