Im Rahmen der Erhebungen zum Bundesinventar der schützenwerten Ortsbilder der Schweiz ISOS wurde das Ortsbild von Sertig Dörfli in der Gemeinde Davos 1992 als regional bedeutend eingestuft und in der Folge im Kantonalen Richtplan KRiP als schützenswert klassiert. Gemäss KRiP ist das «Ziel des Erhalts von besonderen Ortsbildern [...], sowohl einzigartige Orte als auch besonders wertvolle Beispiele regional typischer Siedlungen oder Siedlungsteile zu wahren und als erhaltenswertes Kulturerbe weiterzugeben». Die Weiterentwicklung geschützter Ortsbilder solle entsprechend «ortsgerecht» erfolgen, was die «erlebbare Bezugnahme auf die besonderen Qualitäten» und eine «Rücksichtnahme auf den historischen Bestand» bedinge.
Nun wird in Sertig Dörfli, dessen Schützwürdigkeit sich wesentlich dem Umstand verdankt, dass es seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert keine wesentliche Erweiterung mehr erfahren hat, die Vereinbarkeit von Weiterentwicklung und Ortsbildschutz auf eine harte Probe gestellt. Ein ortsansässiger Architekt möchte sämtliches noch vorhandenes Bauland überbauen. So sollen in naher Zukunft gleich fünf Neubauten in der stets gleichen Handschrift errichtet werden. Zwei Gebäude wurden Anfang 2025 bereits bewilligt – trotz harscher Kritik des Bündner Heimatschutzs und der Einsprachen von Anwohnern.
Der Bündner Heimatschutz hatte die geplanten Neubauten scharf kritisiert.
Mit Blick auf eine maximale Ausnützung hin konzipiert, lassen sie Kriterien des Ortsbildschutzes wie Angemessenheit und sorgfältige Einpassung in den Bestand unberücksichtigt. Es sind keine zeitgenössischen Neuinterpretationen des ortsüblichen Strickbaus sondern beliebige Betonkonstruktionen mit modisch designten Fassaden, die so tun, als seien sie Holzbauten.
Darüber hinaus fragt es sich, für wen hier eigentlich gebaut werden soll. Die Aussage des bauwilligen Architekten, mit den Neubauten einen Beitrag zur Bekämpfung der Wohnungsnot in Davos leisten zu wollen (Davoser Zeitung, 12. März 2024), mutet angesichts der überdimensionierten Grösse der von ihm geplanten ‚Chalets‘ und deren luxuriösen Raumprogramms geradezu lachhaft an.
Sertig Dörfli ist für den Bau neuer Erstwohnungen wegen seiner peripheren Lage und der fehlenden Alltagsinfrastruktur nicht der richtige Ort. Dieser Meinung ist offenbar auch die Gemeinde selbst. So hält sie in ihrem Kommunalen räumlichen Leitbild KrL fest, dass «Sertig Dörfli und die Umgebung als charakteristische Streusiedlung mit der heutigen sanften touristischen Infrastruktur und Erholungsnutzung erhalten» werden soll; zudem sei «eine langfristige Reduktion des motorisierten Individualverkehrs» anzustreben. Die Einwohnerverteilung innerhalb der Gemeinde solle sich laut KrL auf die Siedlungsschwerpunkte Platz und Dorf konzentrieren.
Aus raumplanerischer Sicht scheint es also unsinnig, die Baulandreserven in Sertig Dörfli, deren Ausscheidung in die Zeit vor Inkrafttreten des Zweitwohnungsgesetzes zurückreicht, noch aufrechtzuerhalten. Entsprechend müsste die Gemeinde Davos im Rahmen der laufenden Ortsplanungsrevision den Missstand der zu grossen Bauzonen in Sertig Dörfli korrigieren bzw. die Rückzonung des dort vorhandenen Baulandes zugunsten von Neueinzonungen in Davos Platz und Davos Dorf veranlassen.
Vor diesem Hintergrund erscheint die Bewilligung von Neubauten in Sertig Dörfli widersprüchlich - wenn nicht gar illegitim. Die Baubewilligungsbehörde hätte die Bauvorhaben mit Hinweis auf die momentan geltende Planungszone ablehnen müssen. Ziel dieser Planungszone ist die Überprüfung und Anpassung der Bauzonen und die Förderung einer hochwertigen baulichen Siedlungsentwicklung nach innen. Gemäss Art. 21 Abs. 2 KRG darf in einer Planungszone nichts unternommen werden, was die neue Planung erschweren oder dieser entgegenstehen könnte. Insbesondere dürfen Bauvorhaben nur bewilligt werden, wenn sie den vorgesehenen neuen Planungen und Vorschriften nicht widersprechen.
Ob es wohl geholfen hat, dass der bauwillige Architekt auch Mitglied der Davoser Baukommission ist?
Nach Bekanntwerden des fragwürdigen Behördenentscheids wandelte intensivierte sich vor Ort der Widerstand gegen die drohende Verschandelung von Sertig Dörfli. Am 20. März 2025 wurde im Grossen Landrat eine Motion eingereicht, die die Rückzonung der Bauzonen im Sertig Dörfli und die Rücknahme der bereits erteilten Baubewilligungen verlangt. Parallel dazu hat die neu formierte IG Sertig die Petition «Keine Neubauten in Sertig Dörfli» lanciert. Die Petition läuft noch bis 29. April 2025.
PETITION UNTERZEICHNEN
Die Neubauprojekte in Sertig Dörfli haben zahlreiche Leserbriefschreiber auf den Plan gerufen.