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Stadtgestaltung in Chur?

Kaum hatte Anne Pfeil Anfang März 2023 ihre Stelle als Churer Stadtarchitektin angetreten, schaute sie sich nach einem neuen Arbeitgeber um. Ende August 2023 war sie wieder weg. Schon ihr Vorgänger hatte den Posten nur kurzzeitg bekleidet. Der Stadtrat 'analysierte' die missliche Situation und kam zum erstaunlichen Schluss, die «Funktion Stadtarchitekt/-in» hätte sich «organisatorisch entfremdet». Um das Problem zu lösen, schlug er kurzum die Zerschlagung der Hochbaudienste und die endgültige Abschaffung der Stadtarchitekten-Stelle vor. Ein Ansinnen, das vom Gemeinderat zurückgewiesen wurde. Im Oktober 2024 verliess auch Stadtentwicklerin Anne Brandl nach nur etwas mehr als zwei Jahren die Churer Verwaltung. Die in Chur herrschende Planungsfeindlichkeit machte ihr ein Bleiben offensichtlich unmöglich. Mit dem im Januar 2025 antretenden neuen Stadtrat besteht allerdings Hoffnung, dass die Regierung endlich ihre Verantwortung für die Gestaltung der Bündner Kapitale wahrnimmt und in Chur so etwas wie «Planungskultur» Einzug hält.

Bauen wie die Zombies

Im Juni 2021 schrieb Stefan Kurath, Professor für Stdätebau an der ZHAW, in der Wochenzeitung Die Zeit einen vernichtenden Artikel zur Bau- und Planungskultur in Chur. Sechs Jahre zuvor hatte der damalige Churer Baudirektor in einer seltsamen Mischung aus Selbstüberschätzung und Expertenhass das Amt des Stadtarchitekten kurzerhand abgeschafft. Kuraths Kolumne mit dem Titel «Bauen wie die Zombies» schloss versöhnlich und hoffnungsvoll: «Die Stadt hat wieder einen Stadtarchitekten. Jürg Rehsteiner heisst der Mann, er kommt aus Luzern ins Bündnerland und kann’s. Eigentlich. Wenn man ihn lässt.» Rehsteiner verschwand nach wenigen Monaten wieder von der Bildfläche. Aus Gesundheitsgründen, wie es heisst.

Ein Jahr später, im Oktober 2022, verkündete der Stadtrat auf der städtischen Website erfreut, «dass er mit Anne Pfeil eine versierte, engagierte und erfahrene Fachfrau» als neue Stadtarchitektin gewinnen konnte. Blieb es womöglich bei der Freude? Hat man es unterlassen, sich auf die Versiertheit, Engagiertheit und Erfahrenheit der neuen Stadtarchitektin auch tatsächlich einzulassen? Ihr den dafür notwendigen Gestaltungsspielraum verweigert? Lange hat's Anne Pfeil jedenfalls nicht ausgehalten. Im März 2023 angetreten, war sie Ende August 2023 wieder weg.

Medienberichte

Die Südostschweiz hat kritisch über den raschen Abgang der Churer Stadtarchitektin Anne Pfeil berichtet.

Kommentare

Die BHS-Geschäftsleiterin hat das kurze Gastspiel der Churer Stadtarchitektin in einem Leserbrief und einer Kolumne kommentiert.

Hochbaudienste demontieren?

Die Stadt Chur tut sich seit jeher schwer mit ihren StadtarchitektInnen. Seit 1990 haben sechs Leute das Amt angetreten. Deren drei wurden geschasst und zwei machten auf dem Absatz kehrt. Das Problem ist ganz offensichtlich struktureller Art. Aber statt sein Handeln und seine Vorstellungen kritisch zu reflektieren, lenkt der Stadtrat vom eigentlichen Problem ab. Anne Pfeil wurde nicht ersetzt – und ihr Abgang mit kruden Argumenten rechtfertigt. Im November 2023 machte sich der Bündner Heimatschutz in einem Schreiben an den Stadtrat für eine rasche und öffentliche Ausschreibung des Postens stark – der Brief blieb ebenso unbeanwortet wie ähnliche Eingaben der Fachverbände SIA, BSA und SWB. Die Stelle ist bis heute vakant.

Mitte Februar 2024 wartete der Stadtrat mit einer Überrraschung auf: einer «Reorganisation Dienststelle Hochbaudienste», die sowohl die Zerschlagung der Hochbaudienste wie auch die definitive Abschaffung der Stadtarchitekten-Stelle vorsah. Mit der «Funktionsbezeichnung ‘Stadtarchitekt/-in’» seien, so las man in der stadträtlichen Botschaft an den Gemeinderat, «Erwartungen wie ‘gestalterische Gesamtverantwortung für den öffentlichen Raum’ oder ‘entscheidende Rolle im Hinblick auf eine baukulturell hochwertige Stadtentwicklung mit Gesamtschau über den Stadtkörper’ verbunden’». «Diesen ‘überhöhten’ Erwartungen», so las man erstaunt weiter, könne «bei der Neubesetzung Hochbaudienste nicht Genüge getan werden.» Das ist eine Bankrotterklärung, aber kein Argument. Eine Stadt in der Grösse und Bedeutung von Chur braucht eine/n souveräne/n StadtarchitektIn mit architektonischem Können, städtebaulichem Verständnis, kultureller Bildung und politischem Weitblick, der/die koordinierend, verhandelnd und umsichtig die Fäden der Baukultur zusammenhält und auf fachlicher Augenhöhe mit ArchitektInnen, Bauleuten und Bauherrschaften architektonische und städtebauliche Qualitäten einfordert.

Der Churer Gemeinderat wies die Botschaft schliesslich zurück (Medienberichte).

Stellungnahme

In einer Medienmitteilung nahm der Bündner Heimatschutz Stellung zur Botschaft des Stadtrates vom 15. Februar 2024, in der dieser dem Gemeinderat die Zerschlagung der Hochbaudienste bei gleichzeitiger Abschaffung der Stadtarchitekten-Stelle vorschlug.

Interview

Radio RTR online – Novitads. Im Interview erläutert Ludmila Seifert, weshalb der Bündner Heimatschutz die geplante Reorganisation der Churer Hochbaudienste ablehnt

Leserbrief

In einem Leserbrief kontert die BHS-Geschäftsleiterin die Behauptung von Stadträtin Sandra Maissen, man pflege «ein veraltetes Bild der Sechzigerjahre, dass ein Stadtarchitekt eine Stadt gestalten kann».

Planungskultur braucht gute Bedingungen

Im Sommer 2024 schmiss schliesslich auch Stadtentwicklerin Anne Brandl den Bettel hin. Etwas mehr als zwei Jahre hatte sie den widrigen Umständen in Chur getrotzt und die Fahne der Baukultur hochzuhalten versucht. Am Ende kapitulierte sie vor der allseits bekannten Churer Planungsfeindlichkeit. Bei ihrem Abgang sparte sie nicht mit Kritik an ihrem Arbeitgeber.

Wie mit Anne Pfeil verlor Chur auch mit Anne Brandl eine hochkompetente, profilierte Fachkraft. Und dies in einem denkbar ungünstigen Moment, befindet sich die Bündner Hauptstadt doch mitten in einer Grundordnungsrevision.

Eins ist klar: Stadtplanung ist auf Langfristigkeit und Kontinuität angewiesen. Und sie braucht politische Rückendeckung. Eine von profitorientierten Investoren getriebene und vom Alltag geregelte Stadtgestaltung können wir uns angesichts der komplexen Herausforderungen, die anstehen, nicht leisten. Verdichtung und klimaangepasste Stadtreparatur sind kein Kinderspiel! Es geht darum, eine nachhaltige Stadt mit hoher Lebensqualität für eine vielfältige Bevölkerung zu schaffen. Entsprechend sind Strukturen zu schaffen, die einer hohen Baukultur förderlich sind.

Ab Januar 2025 tritt der Stadtrat in neuer Zusammensetzung an. Mit Simon Gredig übernimmt ein junger, initiativer und äusserst engagierter Umweltwissenschaftler die Leitung des Churer Baudepartements. Jemand, der sich bewusst ist, dass die Stadtregierung Verantwortung für die Gestaltung des öffentlichen Raums im Interesse der Allgemeinheit zu übernehmen hat. Und jemand, der weiss, dass man dazu jene Fachleute arbeiten lassen muss, die sich mit den damit verbundenen Schwierigkeiten auskennen. Die Zeichen stehen gut, dass die offensichtlich bestehenden Probleme endlich effizient und sinnvoll angegangen werden. Und vermeidbare 'Unfälle', wie etwa jener der fragwürdigen Investorenausschreibung Alte Fuhrhalterei im Sommer 2024, künftig vermieden werden!

Beitrag

«Unsere Städte sind Geschwüre»
Interview mit Peter Zumthor in der Süddeutschen Zeitung Magazin Heft 39/2018

«Ganz weit hinten in der Talenge sitzt das mittelalterliche Chur, und davor breitet sich ein konzeptloser Brei von Häusern aus, gross und klein, schräg und gerade, hoch und niedrig, Strassenführungen, die im Überblick keinen Sinn machen. Man hat den Eindruck: Wenn es um die architektonische Form der Stadt als Ganzes geht, hat sich hier niemand auch nur für fünf Rappen etwas überlegt.»