Zwischen 1907 und 1909 liess die Queen Alexandra Society, eine englische gemeinnützige Gesellschaft, auf einem Landschaftsbalkon in der «Grüni» oberhalb von Davos Platz ein Sanatorium für den englischen Mittelstand erstellen. Das Queen Alexandra Sanatorium war die grösste englische Tuberkulose-Heilanstalt auf dem Kontinent und ein frühmodernes Meisterwerk der Zürcher Architekten Pfleghard und Haefeli und des renommierten Bauingenieurs und Brückenbauers Robert Maillart. Als Ergebnis kollaborativer Arbeit von Ingenieur, Architekt und Bauherr entstand hier mit all ihren Widersprüchen und Kompromissen eine neue Art der Architektur, die massgeblich durch den Einsatz von Stahlbeton geprägt ist.
Bereits 1911 wurde der monumentale Bau um einen Westflügel erweitert und erhielt damit seine bis heute charakteristische Gestalt als Zweiflügelanlage mit turmartigen Mittelbau.
Daniel Korwan. Discovering Early Modernism in Switzerland. The Queen Alexandra Sanatorium. Basel, Boston 2023
Die detaillierte Chronologie des 1909 fertiggestellten Queen Alexandra Sanatoriums ermöglicht einen erweiterten Blick auf die Geschichtsrezeption der Moderne
Während des Ersten Weltkriegs blieben die englischen Gäste aus, das Sanatorium wurde geschlossen. Schliesslich konnte es am 1. Januar 1922 von der Thurgauischen Gemeinnützigen Gesellschaft zum Preis von Fr. 800 000 samt Mobiliar erworben werden. Es diente damals als geschlossenes Volkssanatorium für mittellose Tuberkulosekranke der Kantone Thurgau und Schaffhausen.
In der Folge wurde die Heilstätte fortwährend den neuen Bedürfnissen entsprechend angepasst und erweitert. Eine grosse Renovation fand Mitte der 1950er-Jahre statt. Damals entstand unterhalb der Klinik das heute noch bestehende Personalhaus. Auch wurden die Liegehallen an der Südfassade des Hauptbaus um eine Balkonschicht erweitert, die sich wenig positiv auf die Gesamterscheinung des Bauwerks auswirkte.
Viele Jahre war die Davoser TSH eine der wichtigen Kliniken am Ort. 2005 musste der unrentabel gewordene Betrieb aufgegeben werden – 120 Mitarbeitende verloren ihre Arbeitsstelle. Im Jahr zuvor hatte die damalige Eigentümerschaft, der Kanton Thurgau, die Gemeinde Davos noch um eine Zonenplanänderung gebeten, um mit dem Erlös aus den unterhalb der Klinik gelegenen Flächen die Klinik sanieren zu können. Der Davoser Souverän stimmte dem Anliegen im Oktober 2004 zu – nur um eine Woche später vom Schliessungsentscheid für die Klinik zu erfahren. 2005 wurde das Klinikgebäude an den Investor Remo Stoffel verkauft. Danach stand das alte TSH-Gebäude ungenutzt, abgesehen von der jährlichen Vermietung an die Armee während des WEF.
Seit 2020 ist das 23 500 Quadratmeter grosse Klinikareal im Besitz der Neue Haus AG, einer Tochterfirma der in Rotkreuz (ZG) domizilierten Lika Holding AG. Diese beabsichtigt, das Relikt aus Davos' Blütezeit als Kurort zu touristischen Zwecken umzunutzen.
Die Klinikparzelle ist der Zone für Kurbetriebe zugewiesen. In dieser sind gemäss Davoser Baugesetz neben Kurbetrieben auch solche Betriebe zulässig, welche «in die kommunale Wirtschaftsstruktur passen und ein hohes langfristiges Wertschöpfungs- und Arbeitsplatzpotenzial aufweisen.» Das Hauptgebäude der Klinik – es ist im Generellen Gestaltungsplan der Gemeinde als «erhaltenswert» eingestuft – soll in einen strukturierten Beherbergungsbetrieb umgewandelt, das Personalhaus zu Zweitwohnungen umfunktioniert werden. Im noch unbebauten Bereich ist die Realisierung touristisch bewirtschafteter Wohnungen geplant. Noch offen ist, was mit dem geschützten Ärztehaus von 1934 geschehen soll, das isoliert auf einer Hangkuppe über dem ehemaligen Sanatoriumskomplex thront.
Das von der Neue Haus AG erarbeitete Projekt vermochte nicht zu überzeugen, da es der ausserordentlichen Situation der Anlage zu wenig Beachtung zollte. Nach Absprache mit dem Bündner Heimatschutz wurde der Eigentümerschaft von der Gemeinde Davos die Durchführung eines Ideenwettbewerbs empfohlen. Dessen Ziel war es, eine überzeugende Lösung betreffend die Setzung und Verteilung der neuen Bauvolumen im Kontext des historischen Klinikbaus zu finden sowie die Erschliessung, Parkierung und Aussenraumgestaltung zu klären. Massgebendes Kriterium war zudem ein konzeptionell sinnvolles und wirtschaftlich tragbares Zusammenspiel von Bestand und Neubauten.
Der Wettbewerb wurde im Winter 2022/23 als privater, anonymer Ideenwettbewerb auf Einladung gemäss SIA 142 durchgeführt. Vier renommierte Architekturbüros waren zum Wettbewerb eingeladen.
Die Jury, in der auch der Bündner Heimatschutz vertreten war, empfahl der Bauherrschaft, das Projekt «Baffi» von barão-hutter zur Weiterbearbeitung. Der Jurybericht hält dazu fest: «Der Kern der Idee: Wie ein geschwungener Schnauz schmiegen die Architekten die neuen Nutzungen des alten Klinikhauses und unter dem Doktorhaus in ein neues Gebäude der Geländekante entlang. So gelingt es, die Landschaft vor dem Klinikhaus möglichst freizuspielen – und es gelingt, das Personalhaus für eine weitere Lebensetappe zu erhalten.»
Momentan wird auf der Basis des Siegerprojekts ein Quartierplan erarbeitet; er soll noch in diesem Jahr eingereicht werden.
Ein besonderes Augenmerk des Bündner Heimatschutzes gilt nun dem Ärztehaus, das als Blickfang auf dem Geländesporn über dem monumentalen Heilstättenkomplex thront. Das kleine Gebäude von 1934 zeichnet sich nicht nur durch einen hohen Situationswert aus, es ist auch von ausserordentlicher architekturhistorischer Qualität. Entworfen hat es Rudolf Gaberel, der in den 1920er- und 1930er-Jahren für Graubünden einzigartige Bauten der Moderne schuf. Es handelt sich um den letzten erhaltenen Holzständerbau von Gabarel, was insofern speziell bemerkenswert ist, als eben Bauten dieser Art den Architekten zum allseits bekannten Wegbereiter der Schweizerischen Holzmoderne gemacht hatten. Das TSH-Arzthaus gehört es zu den am besten erhaltenen Gaberel-Bauten überhaupt.
Der Bündner Heimatschutz ersuchte die Investoren, dem architektonischen Kleinod bei der anstehenden Renovation einen denkmalpflegerisch korrekten Umgang angedeihen lassen. Bei einem Schutzobjekt dieser Güteklasse ist unbedingt ein konservierend-restauratorischer Ansatz mit dem Ziel eines integralen Erhalts anzustreben – basierend auf einem qualifizierten Inventar, das Schutzziel und Schutzumfang präzis umschreibt. Und es muss eine Nutzung gefunden werden, bei der die Eingriffstiefe minimal gehalten werden kann. In Verbindung mit dem geplanten Hotel und den bewirtschafteten Zweitwohnungen in unmittelbarere Nähe wäre eine Verwendung als Ferienhaus naheliegend. Der Bündner Heimatschutz versucht, die Eigentümerschaft zu einer Kooperation mit der Stiftung Ferien im Baudenkmal zu bewegen.