Positionen
 

Chur ohne Stadtarchitektin

Kaum hatte Anne Pfeil Anfang März 2023 ihre Stelle als Churer Stadtarchitektin angetreten, schaute sie sich nach einem neuen Arbeitgeber um. Bereits im August 2023 kehrte sie der Bünder Kapitale den Rücken. Schon ihr Vorgänger hatte den Posten nur sehr kurze Zeit bekleidet. Der Stadtrat 'analysierte' die Situation und kam zum erstaunlichen Schluss, die «Funktion Stadtarchitekt/-in» hätte sich «organisatorisch entfremdet». Um das Problem zu lösen, schlug er kurzum die Zerschlagung der Hochbaudienste und die endgültige Abschaffung der Stadtarchitekten-Stelle vor. Der Gemeinderat hat dieses Ansinnen am 7. März 2024 zurückgewiesen.

Im Oktober 2022 hatte der Stadtrat auf der städtischen Website seiner Freude Ausdruck verliehen, «dass er mit Anne Pfeil eine versierte, engagierte und erfahrene Fachfrau» als neue Stadtarchitektin gewinnen konnte. Blieb es womöglich bei der Freude? Hat man es unterlassen, sich auf die Versiertheit, Engagiertheit und Erfahrenheit der neuen Stadtarchitektin auch tatsächlich einzulassen? Ihr den dafür notwendigen Gestaltungsspielraum verweigert? Lange hat's Anne Pfeil jedenfalls nicht ausgehalten. Im März 2023 angetreten, war sie Ende August 2023 wieder weg. Einen raschen Abgang hatte schon ihr Vorgänger hingelegt.

«Bauen wie die Zombies»

Im Juni 2021 hatte Städtebau-Professor Stefan Kurath in der Wochenzeitung Die Zeit einen vernichtenden Artikel zur Bau- und Planungskultur in Chur geschrieben. Sechs Jahre zuvor hatte der damalige Churer Baudirektor in einer seltsamen Mischung aus Selbstüberschätzung und Expertenhass das Amt des Stadtarchitekten kurzerhand abgeschafft. Kuraths Kolumne mit dem Titel «Bauen wie die Zombies» schloss versöhnlich und hoffnungsvoll: «Die Stadt hat wieder einen Stadtarchitekten. Jürg Rehsteiner heisst der Mann, er kommt aus Luzern ins Bündnerland und kann’s. Eigentlich. Wenn man ihn lässt.» Rehsteiner verschwand nach wenigen Monaten wieder von der Bildfläche. Aus Gesundheitsgründen, wie es heisst.

Stadtarchitektin wird nicht ersetzt

Die Stadt Chur tut sich seit jeher schwer mit ihren StadtarchitektInnen. Seit 1990 haben sechs Leute das Amt angetreten. Deren drei wurden geschasst und zwei machten auf dem Absatz kehrt. Das Problem liegt ganz offenbar im System. Aber statt sein Handeln und seine Vorstellungen kritisch zu reflektieren, lenkt der Stadtrat vom eigentlichen Problem ab. Anne Pfeil wurde nicht ersetzt – und ihr Abgang mit kruden Argumenten rechtfertigt. Im November 2023 machte sich der Bündner Heimatschutz in einem Schreiben an den Stadtrat für eine rasche und öffentliche Ausschreibung des Postens stark – der Brief blieb ebenso unbeanwortet wie ähnliche Eingaben der Fachverbände SIA, BSA und SWB. Mitte Februar 2024 gelangte der Stadtrat mit einer Botschaft an den Churer Gemeinderat, um diesen zu bitten, einer «Reorganisation Dienststelle Hochbaudienste» zuzustimmen, die sowohl die Zerschlagung der Hochbaudienste wie auch die definitive Abschaffung der Stadtarchitekten-Stelle vorsah. Die Botschaft wurde zurückgewiesen (Medienberichte).

Überhöhte Erwartungen?

Mit der «Funktionsbezeichnung ‘Stadtarchitekt/-in’» seien, so las man in der Botschaft, «Erwartungen wie ‘gestalterische Gesamtverantwortung für den öffentlichen Raum’ oder ‘entscheidende Rolle im Hinblick auf eine baukulturell hochwertige Stadtentwicklung mit Gesamtschau über den Stadtkörper’ verbunden’». «Diesen ‘überhöhten’ Erwartungen», so las man erstaunt weiter, könne «bei der Neubesetzung Hochbaudienste nicht Genüge getan werden.» Das ist eine Bankrotterklärung, aber kein Argument. Eine Stadt in der Grösse und Bedeutung von Chur braucht eine/n souveräne/n StadtarchitektIn mit architektonischem Können, städtebaulichem Verständnis, kultureller Bildung und politischem Weitblick, der/die koordinierend, verhandelnd und umsichtig die Fäden der Baukultur zusammenhält und auf fachlicher Augenhöhe mit ArchitektInnen, Bauleuten und Bauherrschaften architektonische und städtebauliche Qualitäten einfordert.

Planungsfeindlichkeit ist kontraproduktiv

Chur gilt gemeinhin – und nicht von ungefähr – als planungsfeindlich. Eins ist klar: Planungskultur ist auf Langfristigkeit und Kontinuität angewiesen. Und sie braucht politische Rückendeckung. Eine vom Alltag geregelte Stadtgestaltung können wir uns angesichts der anstehenden Herausforderungen nicht leisten. Verdichtung und klimaangepasste Stadtreparatur sind kein Kinderspiel! Es geht darum, eine nachhaltige Stadt mit hoher Lebensqualität für eine vielfältige Bevölkerung zu schaffen. Entsprechend sind Strukturen zu schaffen, die einer hohen Baukultur förderlich sind. Es ist an der Zeit, dass der Stadtrat mit externer Hilfe und Expertise die tatsächlichen Probleme effizient angeht!

Leserbrief

In einem Leserbrief kontert die BHS-Geschäftsleiterin die Behauptung von Stadträtin Sandra Maissen, man pflege «ein veraltetes Bild der Sechzigerjahre, dass ein Stadtarchitekt eine Stadt gestalten kann»

Interview

Radio RTR online – Novitads. Im Interview erläutert Ludmila Seifert, weshalb der BHS die geplante Reorganisation der Churer Hochbaudienste ablehnt

Stellungnahme

In einer Medienmitteilung nimmt der Bündner Heimatschutz Stellung zur Botschaft des Stadtrates vom 15. Februar 2024, in der dieser dem Gemeinderat die Zerschlagung der Hochbaudienste bei gleichzeitiger Abschaffung der Stadtarchitekten-Stelle vorschlägt

Kommentare

Die BHS-Geschäftsleiterin hat den raschen Abgang der Churer Stadtarchitektin in einem Leserbrief und einer Kolumne kommentiert

Medienberichte

Die Südostschweiz hat kritisch über den raschen Abgang der Churer Stadtarchitektin Anne Pfeil berichtet